The Reflection of the Sun Speaks All the Days

Maria Margolina

Curated by Sofia Nogueira Negwer

09.09.2021—16.09.2021

„Kybernetik ist die Wissenschaft von vertretbaren Metaphern“1 stellte der Psychologe Gordon Pask bereits gegen Mitte des letzten Jahrhunderts so treffend fest. Allgemein versteht man unter dem Begriff der Kybernetik die Wissenschaft von der Regelung und Steuerung informationsverarbeitender Systeme. Dabei handelt es sich um den Ablauf eines sich stetig wiederholenden Vorgangs innerhalb einer systemischen Einheit, während dem zunächst die Wirkung der Umwelt durch einen Sensor gemessen, verarbeitet und anschließend rückgekoppelt wird, um das zukünftige Verhalten des Systems durch einen Effektor zu verändern bzw. anzupassen. Was dabei entsteht, lässt sich als Feedback-Schleife bezeichnen. Während den Macey-Konferenzen am MIT zwischen 1946 und 1953, ging es den unterschiedlichen Wissenschaftler*innen neben der Begründung einer neunen Wissenschaft vor allem darum „eine Form interdisziplinären Denkens (zu entwickeln), die es den Mitgliedern vieler Disziplinen ermöglicht hat, miteinander in einer Sprache zu kommunizieren, die alle verstehen konnten“2, so die teilnehmende Anthropologin Margaret Mead. Was unter diesem Anspruch an eine interdisziplinäre Anwendbarkeit entstand, ist nicht weniger eine Systemtheorie, die sich gleichermaßen auf Lebewesen und Maschinen, sowie wirtschaftliche und kognitive Prozesse übertragen lässt. So kann auch die menschliche Kommunikations- und Informationsverarbeitung als ein in seinem Ablauf zirkulär funktionierendes System von Feedback-Schleifen verstanden werden.

Dass die Kybernetik samt ihrer Systemtheorie im heutigen gesellschaftlichen Diskurs kaum mehr eine Rolle spielt, könnte gerade damit zusammenhängen, dass sie seit der Mitte des letzten Jahrhunderts (spätestens ab der Erfindung der Turingmaschine) als Funktionsweise der Informationsverarbeitung unseren Alltag vollständig durchdrungen hat (auch das „Deep Learning“ einer KI funktioniert über Feedback-Schleifen!). Durch die Allgegenwärtigkeit wird sie mehr und mehr aus unserer bewussten Wahrnehmung gefiltert und scheint gleichsam unsichtbar geworden zu sein. Dabei hat der Inhalt der Kybernetik jedoch keineswegs an Bedeutsamkeit verloren, ganz im Gegenteil: it’s everywhere like air.3

Doch was passiert in dem Moment, in dem uns das, was so selbstverständlich wurde wie die Luft, die wir atmen, bewusst wird? Und wie könnte ein derartiger Prozess der Bewusstwerdung aussehen?

Wie schon der von Pauline Oliviero geprägte Begriff des „Deep Listening“ herausstellt, spielt das aktive Zuhören eine essenzielle Rolle in der Art und Weise, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen. Auch hier lassen sich bei genauerer Betrachtung zirkuläre Informationsverarbeitungsprozesse erkennen, die bei der Rezeption jedoch meist unbewusst bleiben.

In der interaktiven Mehrkanal-Soundinstallation „The reflection of the sun speaks all the days“ geht es gerade um die Bewusstwerdung der akustischen Feedbackprozesse zwischen Kunstwerk und Rezipient*in, sowie einer daraus folgenden Auseinandersetzung mit der eigenen körperlichen Präsenz im Verhältnis zum Raum bzw. zur „Außenwelt“ und der Interaktion mit derselben. Mithilfe von Lautsprechern und Grenzflächenmikrofonen werden Audio-Rückkopplungsschleifen erzeugt. Dabei erfolgt zunächst eine akustische Analyse des Raumes. Daraus leitet sich die Anzahl, Position, Höhe und Ausrichtung des jeweiligen Lautsprechers, sowie der Mikrofone ab. Im Anschluss an die Analyse schaltet sich das System nun in bestimmten Phasen von selbst an und das Klangstück beginnt. Nun sind die Besucher*innen eingeladen, sich im Raum zu bewegen. Sobald das geschieht, wird durch die daraus resultierenden Schwingungen in der Luft die Frequenz der Feedback-Schleifen verändert, was eine Veränderung und in der Folge ein stetiges Anschwellen des Sounds, der aus den Lautsprechern schallt, zur Folge hat. Die Besucher*innen werden somit Teil des zirkulären Prozesses des sich selbst generierenden Werks, die es nicht nur maßgeblich beeinflussen, da ihre Präsenz Teil der Komposition ist, sondern ihre Präsenz auch zur Bedingung für das Entstehen des Klangstücks selbst werden lässt. Anders ausgedrückt wird durch die Installation das Feedback der Rezipient*innen hörbar gemacht. Wobei die Bewusstwerdung dieser besonderen Rezipient*innenrolle wiederum als Feedback auf dieselben wirkt. Es entsteht eine Wechselwirkung, die das veraltete Konzept der Linearität durchbricht und die sonst unsichtbare Zirkelhaftigkeit der akustischen Informationsverarbeitung wahrnehmbar werden lässt.

1 Heinz von Foerster (1993), KybernEthik, Berlin: Merve-Verlag, S. 62.
2 Ebd.
3 In Analogie zu dem von Mark Weiser geprägten Begriff des „ubiquitären Computing“.

Text by Marlene Schwarz



Photo Documentation by John Haag